Diese Lippen sind so weich, wie ich es mir nicht zu träumen gewagt hätte. Sanft tastet sich seine Zunge über meine Lippen und ich gewähre ihm Einlass. Muss ich doch, schließlich bezahlt er mich dafür. Andererseits hab ich von dem Geld noch nichts gesehen. Ich könnte also genau so gut auf der Stelle gehen. Und er müsste das respektieren.
Als ob ich gehen wollte. Wohin denn? Nach hause? Wo es hier doch so schön ist. Und obwohl ich normalerweise nur mir gehöre, bin ich wohl für diese eine Nacht die Seine. Wobei, bei Küssen dieser Art, würde ich es freiwillig länger bleiben. Warum muss dieser Idiot mich denn unbedingt bezahlen wollen?!?
Ich versuche meine Gedanken zu verdrängen. Ich muss das hier ja schließlich genießen, wenn ich nicht will, dass es wehtut. Und – Gott bewahre – das will ich bestimmt nicht. Nicht nur, weil ich Schmerzen nicht mag, sondern auch, weil ich sie wohl kaum ignorieren könnte und auffliegen würde. Das darf nicht passieren. Ich muss mich in meine Rolle hineinversetzen. Ja, das ist es. Das hier ist nur ein Spiel. Ein Spiel der besonderen Art.
Seine Zunge erkundet meinen Mund und unsere Zungen beginnen ein wildes Spiel miteinander. Ich will ein Bein um seine Hüfte schlingen, doch er drückt mich zurück in den Sessel. „Hey, Sie sollten mich nicht zu sehr reizen, wenn Sie nicht gleich hier vernascht werden wollen.“ Mittlerweile ist das Gesieze irgendwie merkwürdig. Ich mein, zu Lord Alexander und Lady Lena würde es ja irgendwie passen, aber dafür sind wir ein paar Jahrhunderte zu spät dran, oder?
Er schnallt mich an und schließt dann die Tür, nicht ohne mir vorher noch einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. Alexander geht um den Wagen herum und steigt ebenfalls ein. Das Innere des Wagens ist luxuriös ausgestattet, der Geruch von feinem Leder liegt in der Lft – es scheint noch relativ neu zu sein. Wir fahren eine Weile, ohne dass jemand etwas sagt, obwohl mir tausend Fragen im Kopf herumschwirren. Aber eigentlich ist es nur eine. Warum macht er das hier? Abgesehen davon, dass er alles andere als schlecht aussieht und scheinbar auch nicht allzu arm ist, ist er auch noch ein richtiger Gentleman, der einem die Tür aufhält und Humor hat. Was gibt es besseres? Ich mein, ich weiß praktisch nichts über ihn und er könnte ein Perverser sein, der Frauen nach dem Sex umbringt, aber das traue ich ihm nicht zu.
Seine raue Stimme durchbricht die Stille: „Heißen Sie eigentlich wirklich Lena Schneider?“
„Ja. Wie sollte ich denn sonst heißen?“
„Keine Ahnung. Ich frag nur, weil ich eher erwartet hätte, dass Sie mir Ihr Pseudonym verraten. Irgendwas in Richtung Belle, oder Bambi, oder Lolita oder so…“
„Waren Belle, Bambi und Lolita gut im Bett?“
Er lacht leise auf. Es ist ein dumpfes Lachen. Eines, das nicht wirklich amüsiert klingt. Eher beleidigt. Habe ich ihn verärgert?
„Es tut mir leid“, flüstere ich, doch er winkt ab.
„Schon in Ordnung, das hab ich verdient. Ich sollte Sie nicht mit anderen auf eine Stufe setzen. Sie sind irgendwie anders.“
Ich runzle die Stirn.
Schnell bessert es sich aus: „Auf eine gute Art und Weise. Sie wirken auf mich etwas reiner, unschuldiger. Ich meine, Sie haben mich noch nicht nach meinen sexuellen Präferenzen gefragt. Das mag ich. Bei Ihnen bekomme ich das Gefühl, dass das hier nicht Ihr Beruf ist, sondern dass Sie es freiwillig machen. Als ob Sie eine ganz normale junge Frau wären, die nach ‘nem schönem Abend mit einem Typ, auf den sie steht heimgeht, um Spaß zu haben. Weil sie es will, und nicht, weil sie das Geld will.“
Er hat ja keine Ahnung, wie unschuldig und rein ich wirklich bin. War. Bald nicht mehr sein werde.
Früher hab ich mir manchmal eingebildet, dass ich bis zu meiner Hochzeitsnacht warten will. Was für ein kindischer Gedanke. Man muss doch Erfahrungen sammeln, bevor man sich sicher sein kann, was man wirklich will, oder nicht? Ich mein, der Kuss eben war fantastisch, aber woher soll ich mir sicher sein, dass ein anderer nicht noch besser küssen würde? Noch bevor ich den Gedanken zu Ende denke weiß ich, dass es absoluter Schwachsinn ist. Als ob es einen Unterschied machen würde, ob jemand anderes besser küsst. Das ist irrelevant. Ich muss ja schließlich nicht alle Männer dieser Welt küssen, um mir klar zu werden, das meinen ersten Kuss toll fand.
Ich wende meinen Blick nach links. Alexander. Eigentlich ein ziemlich schöner Name. Ein schöner Name für einen schönen Besitzer.
„Ähmm, Danke“, ich war ihm noch eine Antwort schuldig.
„Nein, wirklich. Sie wirken auf mich so brav, als ob Sie das zum ersten Mal machen würden. Als ob Sie nicht mal Prostituierte wären und ich ein ganz normales Mädchen angesprochen hätte, das von meinem Angebot so überrascht war, dass es kurzerhand zugesagt hat… Ich weiß, es ist ein dummer Gedanke, aber ich hatte irgendwie das Gefühl ihn aussprechen zu müssen.“ Er lächelt mich an und ahnt nicht, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
Nun, ich muss ihn irgendwie von diesem Gedanken abbringen.
„Also, da ich bis jetzt versäumt habe zu fragen: Auf was stehen Sie im Bett?“ Ich setzte mein verführerischtes Lächeln auf und zwinkere ihm kokett zu.
„Das fragen Sie jetzt nur, weil ich Sie darauf aufmerksam gemacht habe.“
„Das stimmt“, erwidere ichgrinsend, „aber ich will es natürlich wissen. Ich wird es zwar sowieso später erfahren, aber wenn Sie beispielsweise wollen, dass ich auf Sie uriniere, oder es für die Erfüllung ihrer Fantasien notwendig ist, dass ich bemuttere, während Sie nur mit einer Windel bekleidet durch Ihre Wohnung krabbeln, wäre ich gerne darauf vorbereitet.“ Bitte lass ihn keine kranken Fantasien haben. Das wäre... abartig. Ich meine, es soll Leute geben, die auf sowas stehen. Ich gehör wohl nicht dazu. Ich hätte vermutlich auch nichts dagegen, ein bisschen dominiert zu werden, aber ich würde niemandem anderen Schmerzen zufügen wollen. Nicht falsch verstehen, ich fänd‘s nicht besonders prickend wenn mich jemand mit einer Peitsche schlagen würde. Aber ein bisschen fesseln, die Kontrolle über meinen Körper abzugeben, wär schon schön. Wobei jemanden zu fesseln ja auch ganz heiß wäre. Denk ich mal. Ich hab ja keine Erfahrung. Was fantasiere ich da überhaupt vor mich hin?
Er unterbricht meine Gedanken: „Auf mich pinkeln und mich wickeln? Gott, das macht mich garantiert nicht heiß. Ich fahr eher auf das normale ab.“
„Gut“, flüstere so verführerisch ich kann, „Normal also? Und was ist für Sie normal?“
„Keine Ahnung. Sex eben. Vielleicht auch ab und zu ein Blowjob, aber nichts, auf das nicht jeder stehen würde. Wir werden aber noch genug Zeit haben, es zusammen herauszufinden. Gibt es etwas, das ich über Sie wissen sollte?“ Er wirft mir die Fragen also zurück. Na bravo. Was soll ich da jetzt sagen. Ich hab ja auch keine Ahnung, was mir auch in der Realität gefallen würde. Haben Nutten eigentlich sowas? Oder tun sie immer das, was der Kunde wünscht? Vermutlich.
„Ich steh auf das was Sie stehen. Das ist mein Job.“ Genau. Immer daran erinnern. Ich bin nur eine dreckige kleine Hure, die sich vom Erstbesten entjungfern lässt. Aber hey, In ‚Erstbester‘ steckt ‚bester‘ drin, und das ist ja die Steigerung von ‚guter‘. Also doch nicht so schlecht. Was rede ich mir da bitte ein? Das glaub ich ja selbst nicht.
Er verzieht das Gesicht. Klar, er will ja vergessen, dass das etwas rein Geschäftliches ist. „Professionelle Antwort. Und was macht Sie wirklich an?“
„Sie“, ich zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen, „in gewisser Art und Weise.“
„Klar“, flüstert er, und ich weiß, dass er meinen Worten keinen Glauben schenkt.
Der Wagen hält und wir sind da. Diese Fragerei hat eine gewisse Kälte zwischen uns gebracht, und ich bin mir plötzlich gar nicht mehr sicher, ob ich das hier will. Ich fühle mich irgendwie komisch, starre auf die Leere der Tiefparkgarage, in der wir uns befinden und will nicht aus dem Auto austeigen. Wie konnte diese Fahrt so schnell vergehen? Die Tür neben mir geht auf und ich öffne den Gurt. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er schon ausgestiegen ist. Ich muss versuchen meine Gefühle abzuschalten. Das hier ist nur ein Spiel. Ein Spiel, bei dem es viel zu gewinnen gibt. Und bei dem ich noch mehr verlieren werde. Das wird mir jetzt klar.
Ich drehe mich zu ihm und lächle wieder.
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