Alexander führt mich zum Lift, der gleich losfährt, nachdem er seinen Finger auf ein Erkennungsfeld legt. Fingerabdruckscanner. Wir sind wohl wirklich reich…
Mein Blick gleitet auf unser Spiegelbild. Eigentlich sehen wir erstaunlich gut aus, wie wir so nebeneinanderstehen. Sein Arm um meine Taille, meiner um seine Mitte geschlungen. Ich glaube, an diesen Anblick könnte ich mich gewöhnen. Wir sehen wirklich nicht schlecht aus, wie wir so nebeneinander dastehen. Wie ein perfektes Paar. Wir könnten wohl wirklich schöne Kinder zeugen. Konzentrier dich! Tief durchatmen. Gefühle ausschalten. Das hier ist nur Sex. Keine Beziehung. Und vor allem keine Kinder.
In meinem Kopf bahnt sich eine Fantasie zusammen, wie unsere gemeinsame Zukunft aussehen könnte. Ich sehe ganz klar vor mir, wie ich seine Krawatte binde und danach gemeinsam mit ihm und unserer süßen Tochter zu meinen Eltern fahre, wo wir gemeinsam das Weihnachtsfest feiern. Wie immer, wenn ich einem männlichen Wesen begegne, das halbwegs meinen Ansprüchen entspricht. Mit der Ausnahme, dass ich bei diesem einen Mann genau weiß, mir hundertprozentig sicher bin, dass meine Wunschvorstellung nicht in Wirklichkeit passieren wird. Niemals. Weil ich für ihn nur ein Vergnügen für eine Nacht bin. Für das er bezahlt. Im Grunde genommen, biete ich ihm einfach nur eine Dienstleistung an. Als ob ich ihm die Haare schneiden würde. Oder was weiß ich was.
Er zieht mich an sich und sieht mir in die Augen. Ich muss zu ihm hinaufsehen, in diese wunderschönen braunen Augen. Ich lege meine Hände um seinen Nacken und stelle mich auf die Zehenspitzen um meine Lippen auf die seinen zu legen. Ein wundervolles Gefühl. Das heißt, es könnte ein wundervolles Gefühl sein. Wenn wir uns nicht in dieser verdammten Situation befinden würden. Was würde meine Mutter von mir denken, wenn sie hiervon wüsste? Vermutlich würde es ihr das Herz zerbrechen. Oder es wäre ihr egal. Es wäre ihr wohl kaum gleichgültig. Da kann ich mir sicher sein. Denke ich.
Aber ich will nicht daran denken. Ich will alles um mich herum vergessen und Spaß haben. Mit ihm. Mit Alexander, dem heißesten Typen, der mich bis jetzt angesprochen hat. Ich schließe meine Augen. Und vergesse. Seine Lippen vollführen einen Tanz auf den meinen, ich kann nicht anders, als die meinen zu öffnen und meine Zunge fordernd in seinen Mund gleiten zu lassen. Ich will mehr. Will ihn in mir spüren. Mehr als alles andere zuvor. Und das werde ich. Noch früh genug. Ich darf nur nicht die Geduld verlieren.
Ich lege meine Hand auf seine Brust. Selbst durch das Hemd kann ich die durchtrainierten Muskeln fühlen. Da besucht wohl jemand öfter mal das Fitnesscenter. Seine Hand rutscht etwas tiefer. Zu tief. Hier hat mich noch nie jemand berührt. Zumindest nicht absichtlich. Zumindest nicht mit sexuellen Hintergedanken.
Er schiebt mich langsam zurück und ich erwarte, an die Wand gedrückt zu werden. Ob er mich wohl noch hier im Aufzug fickt?
Ich gehe immer weiter zurück, aber da kommt keine Wand. Nach einer Weile öffne ich verdutzt die Augen und bemerke, dass wir wohl angekommen sind. Wow. Er lacht auf. Habe ich laut gedacht? Verdammt, wenn er merkt, wie beeindruckt ich bin, merkt er, dass ich so eine Umgebung nicht gewöhnt bin. „Gefällt Ihnen meine bescheidene Bleibe?“, er lächelt verschmitzt. Wie könnte sie das nicht?!? Ich bin einfach überwältigt. Hier lässt es sich tatsächlich leben. Vor uns liegt ein riesiges Wohnzimmer, das sich über ein riesiges Fenster zu einer Dachterrasse hin öffnet, die eine fantastische Aussicht über die Dächer der Stadt gibt. Zu meiner Linken gibt es eine schicke Designerküche, die nicht aussieht als ob sie besonders oft benützt werden würde und rechts von mir erlaubt eine offene Schiebetür einen Blick auf das Schlafzimmer zu erhaschen. Ich kann kaum erwarten, darin vernascht zu werden.
Ich schlucke. „Nicht so sehr wie der Besitzer des Apartments“, wispere ich ihm verführerisch zu, meine Augen auf die seinen gerichtet, und gehe auf ihm entgegen. Ein Wimpernschlag, nicht auf den sexy Hüftschwung vergessen. Ich beiße mir auf die Lippen, stupse meinen Zeigefinger an seine Brust und hauche: „Ich freue mich schon darauf, die Nacht mit ihm zu verbringen. Er ist wirklich ein großartiger Mann, und ich hoffe, dass bestimmte Teile seiner Anatomie genauso groß sind wie seine geistige Kompetenz.“ Er legt seine starken Hände an meinen Po und drückt mein Becken hart gegen seines, sodass ich aufstöhnen muss. „Ich denke, dass meine hohen Erwartungen möglicherweise erfüllt werden könnten“, hauche ich. Ich weiß es sogar. Seine Erregung ist deutlich spürbar und ich frage mich, ob ich wohl seine volle Größe in mir aufnehmen können werde. „Da ist wohl jemand deutlich von mir angetan.“ Ich muss lächeln. Ein echtes Lächeln. Er lächelt auch: „Konnte man das bis jetzt nicht erkennen?“ Ich mustere ihn kurz ehe ich erwidere: „Doch, es war nur nicht ganz so präsent.“
Da hebt er mich hoch, wirft mich über seine Schulter und trägt mich in das Schlafzimmer, wo er mich auf das Bett fallen lässt. Ich will mich aufrichten, doch er drückt mich zurück in die seidenweichen Kissen. „Lassen Sie es uns langsam angehen. Ich will Sie zuerst kosten. Ich bin mir fast sicher, dass Sie vorzüglich schmecken.“ Als er meinen Rock langsam und doch voller Verlangen nach unten zieht und jeden Zentimeter freigelegter Haut sofort mit zärtlichen Küssen bedeckt, muss ich wieder aufstöhnen. Wie konnte ich nur 17 Jahre ohne intimen körperlichen Kontakt überleben. Der Rock fällt auf den Boden und keine Sekunde später folgt mein Höschen. Quälend langsam fährt seine Zunge meine inneren Oberschenkel hoch und gleitet gemächlich zwischen meine Schamlippen. „Exquisit“, flüstert er und seine Zunge fährt in mich. Ich japse nach Luft. Noch nie hat mich jemand, außer mir selbst, hier berührt. Es fühlt sich verdammt gut an.
Aber auch so verdammt falsch. Nicht, dass ich das Gefühl seiner Hände an meinem Körper nicht lieben würde, aber es ist nun mal so, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, bis an mein Lebensende nur mehr diese eine Hand an mir zu spüren. Nicht die eines anderen. Das macht mir Angst. Weil ich genau weiß, dass er nicht so für mich fühlt. In seinen Augen bin ich nur eine billige Nutte, mit der er ein paar schöne Stunden verbringen kann. Okay, billig vielleicht nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er denkt, ich wäre leicht zu haben. Was ich ja scheinbar auch bin. Gott, ich bin mit einem wildfremden Mann mit nach Hause gegangen, mit dem ich keine 10 Sätze gesprochen habe. Er war zwar ein heißer Wildfremder, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich für Geld mit ihm schlafen werde. Für viel Geld. Ich hätte vermutlich auch bei 1000 zugesagt. Wahrscheinlich auch bei 100. Ich bin wohl wirklich billig.
Wenn ich doch nur die Umstände unseres Aufeinandertreffens vergessen könnte. Warum konnte er mich nicht einfach so ansprechen? Auf einmal muss ich eine Frage loswerden, die schon den ganzen Abend in meinen Gedanken herumschleicht: „Warum tun Sie das?“
„Warum ich Sie lecke? Weil Sie verdammt gut schmecken“, Er sieht zu mir hoch und lächelt.
„Nein, warum zahlen Sie für etwas, das Sie umsonst haben könnten?“
Sein Lächeln erstirbt. Er nimmt seine Hände von meinem Po und setzt sich auf. „Ich hab ‘ne psychische Störung. Nennt sich selektiver Mutismus. Da ist scheinbar irgendwo in meinem Kopf eine Sperre, die verhindert, dass ich mit Frauen, für die ich ein sexuelles Interesse hege, spreche. Das hab ich schon ewig und es liegt vermutlich an irgendeinem Ereignis, das ich aus meiner Erinnerung verdrängt habe.“
Diese Offenheit hätte ich nicht erwartet. Warum erzählt er mir das einfach so? Ich bin ehrlich betroffen, aber auch etwas verwirrt: „Okay, dass erklärt warum Sie nicht mit ‚normalen‘ Frauen schlafen. Aber wieso können Sie mit mir sprechen?“
„Auf den Rat meines Therapeuten hin ist mein Vater damals mit mir in ein Bordell gegangen. Er wollte testen, ob das meine Störung vielleicht heilen könnte. Es war wirklich eigenartig. Ich konnte mit der werten Dame damals zwar tatsächlich reden, aber draußen, in der realen Welt hat es leider immer noch nicht geklappt. Also bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mir von Zeit zu Zeit eine derartige Dienstleistung zu gönnen, um mein Problem einzudämmen.“
Gestört. Dagegen in ja ich fast normal. „Okay. Ich verstehe Sie jetzt langsam. Falls Sie das aufmuntert, ich bin leicht manisch-depressiv. Meine Psychologin hat mir geraten, ein Hobby zu suchen. Etwas, das mir richtig Spaß macht. Sie zählte unter aderem Lesen, Sport und Sex auf. ‚Aber‘, ich zitiere ‚nicht das, was 95% der Paare in ihren Schlafzimmern veranstalten, sondern richtig guten Sex‘“, ich lache auf.
Ernst sieht er mich an: „Haben Sie deshalb hiermit begonnen?“
Habe ich das? „Nein“, erwidere ich nicht ganz so ernst, „Damit habe ich begonnen, als mich ein unheimlich gut aussehender Mann in einer Bar fragte, was es ihn kosten würde, wenn er mich für eine Nacht in seinem Bett haben wolle.“ Ob er den Wink mit dem Zaunpfahl versteht? Kann man den eigentlich nicht verstehen? Will ich denn überhaupt, dass er ihn versteht? Es wäre wohl besser, wenn er ihn nicht verstehen würde. Wäre das besser? Wenn ja, für wen? Für meine Unschuld auf jeden Fall.
Sein Gesichtsausdruck verändert sich plötzlich von ernst zu beschämt. Er hat es also verstanden. Natürlich hat er das. Schmeißt er mich jetzt aus seiner Wohnung und ich bleibe Jungfrau wie eh und je? Das will ich nicht, das wird mir jetzt klar. Doch offenbar ist es zu spät.
„Du bist gar keine …“, das Wort bleibt ihm im Hals stecken. Er räuspert sich: „Warum hast du so reagiert?“ Er hat aufgehört mich zu siezen. Hat er den Respekt zu mir verloren, weil ich falsche Tatsachen vorgetäuscht habe?
„Neugierde“, antworte ich, „Was weiß ich… Vielleicht wollte ich einfach das Gefühl auskosten, begehrt zu werden?“
„Hattest du überhaupt schon mal Sex?“, will er wissen und ich senke meinen Blick. Seine Erregung ist wohl mittlerweile abgeklungen, muss ich betrübt feststellen.
„Ich frage dich kein drittes Mal: Bist du noch Jungfrau?“, seine Stimme klingt härter als erwartet. Hart, enttäuscht und… verletzt.
Ich kann nicht antworten, ich schäme mich viel zu sehr für die Wahrheit. Auch, wenn ich mich genau genommen eher schämen sollte, wenn er falsch läge.
„Was fällt Ihnen überhaupt ein mich zu duzen?“ Ich musste etwas erwidern. Ihn ablenken.
„Du lenkst ab. Wie alt bist du eigentlich?“
Oh, verdammt. Falle. Das kann ich ihm auf keinen Fall sagen. „Wer lenkt hier ab?“
„Okay“, lenkt er ein, „ich antworte dir, wenn du mir antwortest.“
Ich nicke zustimmend.
„Auch wenn ich mir bereits ziemlich sicher bin, ich will es aus deinem Mund hören: Ist das hier dein erstes Mal?“
Jetzt muss ich ihm antworten. Fuck, warum ist die Welt so ungerecht? Warum muss gerade das passieren, vor dem ich mich schon seit geraumer Zeit fürchte? Aber ich muss ihm antworten, wenn ich mehr über ihn erfahren will.
„Ja, tut mir leid, dass bis jetzt noch keiner Lust hatte, mein Hymen zu entfernen.“ Ich fühle mich verletzt. Das war kein Sarkasmus, das war die Wahrheit. Aber vielleicht habe ich auch einfach alle potenziellen Kandidaten mit meiner Kratzbürstigkeit verscheucht. Oder meiner Schüchternheit. Vielleicht auch mit meiner Intelligenz. Oder mit der Tatsache, dass ich meinen Mund nicht halten kann und einfach irgendeinen Scheiß plappere, ohne vorher darüber nachzudenken?
Egal, ich konnte es nicht mehr ändern. Da saß ich also halbnackt auf dem Bett eines unglaublichen Mannes, und er wollte mich nicht mehr. Nur weil ich Jungfrau war. Okay, vielleicht auch, weil ich noch nicht genug Erfahrung mit anderen hatte. Ich weiß es nicht. Aber ich habe eine Frage gut: „Willst du mich jetzt nicht mehr?“
Er zögert, bevor er mir antwortet: „Doch, das ändert nichts an meinem Verlangen. Ich will dich immer noch. Wenn nicht sogar noch mehr, als zuvor. Mehr, als jemals eine andere vor dir.“ Ich beuge mich vor um ihn zu küssen, doch er drückt mich von sich. „Aber das, was du hast, ist ein Geschenk. Ein wundervolles Geschenk, das du mit jemandem teilen solltest, der es wert ist. Der dich liebt, den du liebst. So etwas darf man nicht verkaufen.“
Moralapostel. Das ist er also. Scheiß auf die Moral. Wen interessiert sowas schon? Ich will endlich Sex. Wild. Hart. Mit IHM. Er wäre es wert. Nur kann ich ihm das nicht so sagen. Dann würde er noch denken ich hätt mich in ihn verknallt und würde mich noch weniger wollen.
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